Le sel de Guérande
Das Salz des Meeres
Sie sind alle freiheitsliebend. Und ein wenig Anarchisten. Die Salzbauern von Guérande im Nordwesten Frankreichs. Früher war Salz das weisse Gold. Und so verwundert es nicht, dass die Anfänge der Salzgewinnung in der Bretagne bis in die Neusteinzeit zurückreichen. Die rund 2000 ha grossen Salzgärten von Guérande sind die grössten ihrer Art. Etwa 300 Salzbauern, sie werden hier «paludiers» (vom lateinischen Wort «palus», der Sumpf abgeleitet) genannt, bewirtschaften die Parzellen. Die meisten von ihnen sind einer Kooperative angeschlossen, nur eine Handvoll vermarktet das Salz selbst. Pascal und Delphine sind Selbstvermarkter (s. dazu auch Ihre Homepage www.sel2guerande.com).
Mit geschickter Hand führt Pascal die «Las», ein Holzschieber mit einem sehr langen Stiel. Damit zieht er das Salz, das sich am Grund des Beckens herauskristallisiert, aus dem Wasser. Es ist alles Hand-Werk. Keine Maschinen. Pascal gefällt das. So kann er mit minimalen Fixkosten seinen Unterhalt bestreiten. Unabhängig. Eben ein bisschen wild und anarchisch. Er ist sein eigener Herr und kann seine Arbeitszeit selbst einteilen. Die Salzernte selbst kann nur bei schönem Wetter stattfinden. Das sind rund 40 Tage im Jahr. In diesem kurzen Zeitraum baggert er mit zwei Saisoniers zusammen bis zu 150 Tonnen Salz aus den Becken. Das sind dann auch mal 4 000 kg pro Tag, die von Hand mit Schubkarren aus den Feldern transportiert werden müssen. Das «normale» Salz, das gros sel, hat eine leicht gräuliche Farbe, weil sich die Salzkristalle mit den Mineralien der Tonerde in den Becken verbinden. Das macht das weisse Gold zwar etwas gräulich, aber nährwerttechnisch noch wertvoller. Jeder Paludier häuft sich sein gros sel als Berg neben seinen Feldern an. Von Zeit zu Zeit wird der Salzberg mit einem Camion in ein Depot transportiert. Bei Regen muss das Depot abgedeckt werden, denn sonst zerfliesst das weisse Gold und geht verloren.
Während Pascal mit seinen Saisonarbeitern das gros sel aus den Becken zieht, schöpft Delphine mit geschickter Hand das Fleur de Sel ab. Im Gegensatz zum normalen Salz kristallisiert es an der Wasseroberfläche aus, hat gröbere Kristalle und ist etwas milder. Es ist das wertvollste Salz. In gehobenen Gasthäusern steht es auf dem Tisch, damit die Gäste ihre Speisen mit den Salzblumen noch eine besondere Note verleihen können.
Jedes Salz schmeckt anders. Salz kann sauber riechen, modrig oder bitter. Es kann mild, scharf oder stechend schmecken, nach Algen, Ton oder Erde. Das Fleur de Sel de Guérande ist wegen seines zarten Veilchendufts sehr begehrt.
Das weisse Gold hat Guérande Reichtum gebracht. Das hat natürlich auch die Mächtigen auf den Plan gerufen. 1343 sicherte sich König Philippe VI. de Valois auf dem Verordnungsweg das Salzmonopol und führte die «gabelle«, die Salzsteuer, ein. Das wiederum brachte die Schmuggler, die «faux-saunier», auf den Plan. Sie kauften in der damals von Frankreich noch unabhängigen Bretagne Salz , um es dann in Maine – also in Frankreich – weiterzuverkaufen, nachdem sie es, ohne die Salzsteuer entrichtet zu haben, „importiert“ hatten. Sie riskierten, zum Dienst auf den Galeeren verurteilt zu werden, wenn sie ohne Waffen arbeiteten, und die Todesstrafen, wenn sie Waffen trugen. Nach zahlreichen Erhebungen der Bevölkerung wurde die Salzsteuer am 1. Dezember 1790 von der konstituierenden Nationalversammlung endgültig abgeschafft.
In den 1960er-Jahren verloren die Salzfelder von Guérande an Bedeutung – wegen der vorschreitenden Industrialisierung und der damit verbundenen Landflucht der Jugend in die grösseren Städte. Es waren die «babacools», Aussteiger und Hippies, die – auf der Suche nach einem naturnahem Leben – in den 1970er Jahren die alte Kulturlandschaft wiederentdeckten und die Techniken der Salzgewinnung mit der Unterstützung und dem Wissen der Alten belebten.
Und wenn man dann Pascal mit seinem Hut beim Abpacken des Salzes sieht, dann hat er auch etwas von so einem «babacool». Mit einem zufriedenen Lächeln verschliesst er Säckchen für Säckchen, im Wissen dass er sein eigener Herr ist und das weisse Gold ihm und seiner Familie treu ist und sie mit allem versorgt, was sie benötigen.
Alle Aufnahmen (mit Ausnahme der Drohnenfotos) realisiert mit der Leica SL2 und den drei SL-Zooms 16–35, 24–90 und 90–280 mm.