Blog

Text Artikel Peter Schaeublin Text Artikel Peter Schaeublin

Die Nerds hinter dem roten Punkt

Ein Blick hinter die Kulissen im Leica-Headquarter in Wetzlar


 

Artikel in Kooperation mit fotointern.ch


 

Ein wenig Geschichte

Alles im Leica Headquarter in Wetzlar atmet die Geschichte der Fotografie: Fotojournalistinnen und -journalisten haben mit Produkten der Marke mit dem roten Punkt entscheidende Momente in der Geschichte festgehalten. Und dieses Jahr feiert Leica ihr 100-jähriges Bestehen. Die Geschichte begann allerdings schon vor 1925: Im Jahr 1914 entwickelte Oskar Barnack, damaliger Leiter der Filmkameraentwicklung bei Leitz, eine «Miniaturkamera». Wegen seines Asthmas konnte der passionierte Naturfotograf die schweren Platten- und Grossformatkameras nicht herumtragen. Und so tüftelte er an einer leichten, kompakten Kamera, die er mit den perforierten Kinofilmen mit 24 mm Bildbreite bestücken konnte. Er drehte den Film um 90 Grad, um so das bis heute bekannte Kleinbildformat von 36 x 24 mm zu erzielen. Um das viel kleinere Filmformat im Vergleich zu den Grossformatkameras zu kompensieren, investierte er in die Qualität der Objektive. Bis heute ist die Qualität der Leica-Objektive legendär.

Nachdem Oskar Barnack 1914 die Ur-Leica konstruiert hatte, wurde 1925 die «Leica 1» vorgestellt (Pressefotos Leica)

Ups und Downs

Es folgten viele interne Diskussionen, ob man es wagen sollte, diese Kamera in Serie zu produzieren und auf den Markt zu bringen. Das ganze Hin und Her wurde dann in einer Sitzung im Juni 1924 mit dem legendären Satz von Ernst Leitz II beendet: «Ich entscheide hiermit: Es wird riskiert.» Und dann, exakt vor 100 Jahren – 1925 – wurde die erste Leica auf dem Markt eingeführt. Sie revolutionierte die Fotografie. Auf einen Schlag war Leica (das Wort ist eine Kombination von Leitz und Camera) im Kamerabereich Technologie- und Marktführer. Doch es dauerte nicht lange, bis die japanischen Konkurrenten das Messsucherkamera-Konzept nachbauten. Und 1936 wurde die erste Kleinbild-Spiegelreflexkamera auf der Leipziger Frühjahrsmesse vorgestellt: die «Kine Exakta» der Firma Ihagee aus Dresden. Damit erhielt das Messsucherkamera-Konzept ernsthafte Konkurrenz, und die verkauften Stückzahlen dieser Kamerakonstruktion nahmen rapide ab. Die Spiegelreflexkamera hatte mit ihrem Aufbau, dank dem man das Bild durch das Objektiv sehen konnte (so eine Art WYSIWYG), diverse Vorteile. Leica tat sich schwer mit dem Einstieg in die Spiegelreflexwelt: Erst 1964 präsentierte die Firma die Leicaflex. Und dann gewährte Leica dem japanischen Kamerahersteller Minolta Zugriff auf das Autofokuspatent, was diesem einen Wettbewerbsvorteil verschaffte. Noch schwieriger wurde es mit dem Start in die Digitalfotografie: Wegen des geringeren Auflagemasses war es viel herausfordernder, die Leica-M-Kameras ins digitale Zeitalter zu bringen, ohne den Aufbau und das ikonische Design zu verändern. 


Kurz vor dem Bankrott

Anfang 2000 war Leica in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, und ohne das beherzte Eingreifen von Dr. Andreas Kaufmann gäbe es das traditionsreiche Unternehmen ziemlich sicher nicht mehr. Er erwarb die Aktienmehrheit und verpasste der Firma eine Rosskur: Innerhalb von wenigen Jahren holte die Firma ihren Technologierückstand auf, und dank geschickten Allianzen, die Dr. Kaufmann schmiedete, kann die Firma auch als Nischenplayer modernste Technologie in ihre Kameras einbauen.

Immer unbestritten war Leica als Objektivhersteller. Ich denke, es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Leica einer der besten Objektivhersteller der Welt ist – für viele sogar der beste.


Der Nischenplayer mit dem Marktführer-Image

Ohne dass ich in die internen Abläufe Einblick hatte und habe, gehe ich davon aus, dass Dr. Kaufmann die neue Strategie von Leica massgeblich prägte: Die Firma blühte auf, und der Name Leica entwickelte sich wieder zu einem Synonym für Top-Qualität und herausragende Lösungen. Die Messsucher-Kameralinie – die Leica M – ist imagemässig nach wie vor das Aushängeschild, doch die voll manuell bedienbare Kamera ohne Autofokus ist definitiv nicht jedermanns Sache. Es hätte meines Erachtens die Gefahr bestanden, dass Leica ein marginalisierter Player geblieben wäre, wenn man nur auf die M gesetzt hätte. Doch auch hier handelte Dr. Kaufmann und sein Team visionär: Nebst diversen Kompakt- und Sofortbildmodellen hat Leica im Lauf der letzten Jahre drei weitere Kameralinien lanciert: Die Leica Q – eine kompakte Kamera mit Fixbrennweite, einfachster Bedienung und höchster Bildqualität; die Leica SL – die spiegellose Systemkamera, die höchste Qualität, einfache Bedienbarkeit und Flexibilität für den harten und vielseitigen Fotografenalltag vereint und die Leica S – das Mittelformatsystem, das bezüglich Aufnahmequalität das Flaggschiff von Leica ist. Von den produzierten Stückzahlen her ist Leica ein Nischenplayer, aber der Name und die Produkte haben bei Foto-Enthusiasten den Stellenwert, den normalerweise ein Marktführer hat.

Seit 2015 fotografiere ich mit dem Leica SL-System, und unterdessen ist auch die Leica Q und die Leica S dazugekommen. Über die Jahre ist eine Verbindung zu den Entwicklern von Leica entstanden, und in regelmässigem Austausch versuche ich, nützliche Feedbacks zu ihren Kameras zu geben, die dann in die Entwicklung von neuen Kameramodellen einfliessen können. Ich bin da logischwerweise lediglich eine von vielen Stimmen, aber die Seriosität, mit der Leica das Feedback von mir und anderen engagierten Fotografen aufnimmt, ist Ehre und Verpflichtung zugleich.

Im September durfte ich zusammen mit einer kleinen Gruppe anlässlich eines Meetings einen Blick hinter die Produktionskulissen werfen. Wo normalerweise das Fotografieren verboten ist, durfte ich einige Bilder realisieren, um Dir einen Einblick in die Welt der Leica-Fabrikation zu geben. Realisiert habe ich die Fotos mit der Leica SL3.

Ab hier ist normalerweise das Fotografieren verboten. Doch ich durfte einige Bilder realisieren, um Dir einen Einblick in die Welt der Leica-Fabrikation zu geben.


Beginn der Factory Tour

Alles hier atmet Geschichte. Grossformatige Prints, die das Weltgeschehen dokumentieren, zieren die Wände. Im Vordergrund ein Bild von Steve McCurry, einem meiner Lieblingsfotografen.


Die Nerds

Jede Person, die ich bei Leica getroffen habe und treffe, erfüllt ihre Aufgabe mit grossem Stolz. Über allem steht der Anspruch, ein Produkt mit höchster Qualität zu bauen. Jeder Produktionsschritt wird zwei- oder dreimal kontrolliert. Was nicht zu 100% einwandfrei ist, geht zurück zum Nachjustieren. Es gibt in Wetzlar keine Stichprobenkontrolle, sondern jede Kamera und jedes Objektiv aus der Fertigung wird kontrolliert. Am Schluss setzt die Person, die die Endprüfung durchgeführt hat, ihren Namen darunter und steht damit für ein einwandfreies Produkt.

Für Aussenstehende mag die Akribie in der Produktion und in der Kontrolle beinahe krankhaft wirken, aber nur so ist gewährleistet, dass jedes Produkt, das die Werkhallen in Wetzlar verlässt, den Ansprüchen von Leica gerecht wird. Die Nerds kontrollieren alles doppelt und dreifach und haben dafür meinen grossen Respekt.

Kleine Anekdote am Rand: Kurz vor meinem Besuch bei Leica habe ich eine SL-Fixbrennweite gekauft. Diese Objektive werden unter anderem von Grit Thümmler, die Sie auf Bild 8 sehen, kontrolliert. Wir haben uns etwas länger unterhalten, und ich habe herausgefunden, dass es durchaus sein könnte, dass sie mein Objektiv gecheckt hat, bevor es das Werk verliess. Es war dann eine Kollegin von ihr, aber dass es hier Menschen aus Fleisch und Blut mit einem Namen gibt, die jedes Produkt endkontrollieren, ist zumindest für mich etwas, das der Marke Leica einige Bonuspunkte einbringt ;-).


Foto grafare

Das Wort «Fotografieren» kommt von «Foto grafare», was übersetzt «Malen (oder zeichnen) mit Licht» heisst. Eine wunderbare Beschreibung dessen, was passiert, wenn wir den Auslöser der Kamera drücken. Das Objektiv fängt das Licht ein, bündelt und kanalisiert es für den Film oder den Sensor. Das ist natürlich ein rein physisch-optischer Prozess, aber für mich ist immer etwas Magie dabei, wenn ich mir vorstelle, wie eine grosse Live-Szene auf ein 36 x 24 mm grosses Feld verdichtet wird. Das Objektiv ist eines der wichtigsten Kriterien für die Bildqualität und Bildwirkung. Ausgiebige Tests, die ich zusammen mit meinem Freund Christian Habermeier durchgeführt habe (s. «Test the best»), zeigen, dass das Objektiv einen grösseren Einfluss auf die Bildwirkung hat als beispielsweise der Sensor.

Bei Leica arbeitet man mit über 50 Glassorten, um die bestmöglichen Objektive zu bauen. Die Firma geht dafür an die Grenzen des physisch Machbaren und treibt teilweise einen Aufwand, den man fast als irrwitzig bezeichen kann. So haben wir erfahren, dass es Cine-Objektive von Leica gibt, bei denen das Schleifen einer einzigen Linse – und ein Objektiv hat gut und gerne mal zehn Linsen – auf der CNC-Maschine einen ganzen Tag dauert. Jede Linse wird auf 0,1 Mikrometer, das sind 1/1’000mm (!), genau geschliffen und poliert.  Diese Präzision ist ein grosser Faktor dafür, dass die Leica-Bilder diese hohe plastische Wirkung haben, die Foto-Enthusiasten als «Leica-Look» bezeichnen.

Einige der verwendeten Glassorten sind so empfindlich auf Luft, dass sie nach dem Schleifen schnell oxidieren würden. Deshalb werden die geschliffenen Linsen wenn nötig mit einer Schutzschicht versehen (s. Bild 3), die dann erst kurz vor dem Vergüten entfernt wird. Nach dem Vergütungsprozess kann das Glas nicht mehr oxidieren. Die Vergütung einer Linse dient also in gewissen Fällen nicht nur der Verbesserung der Abbildungsqualität, sondern auch dem Schutz der Linse. Bild 4 zeigt übrigens einen Stapel von Glas, der in der Mitte vergütet und aussen unvergütet ist. Der Unterschied ist frappant.

Die herausragenden Objektivrechnungen, die extreme Fertigungspräzision, die Wertigkeit der verwendeten Werkstoffe sowohl für die Linsen wie auch für die Objektivgehäuse, die Bereitschaft, bis ans Limit des Machbaren zu gehen und die Kontrolle jedes Objektivs sind in der Summe für die extrem hohe Qualität der Leica-Objektive verantwortlich. Wenn man diesen Prozess einmal gesehen und verstanden hat, kann man nachvollziehen, warum diese Objektive ein ziemlich hohes Preisschild tragen.


Individualisierung

Weil Leica eine Manufaktur ist, kann man seine Kamera auf Wunsch individualisieren – beispielsweise mit einer Gravur oder einer eigenen Belederung. Wir wär’s zum Beispiel mit einer Individual-Belederung in der Farbe «Vamp»?


Wie geht es weiter bei Leica?

Nach unserem Testmonat mit der Leica SL3-S im September 2024 haben Christian Habermeier und ich unsere Vorserienkameras persönlich nach Wetzlar zurückgebracht. Zusammen mit Urs Tillmanns, dem Gründer von fotointern.ch, haben wir die Gelegenheit genutzt, um mit einigen Schlüsselpersonen von Leica zu diskutieren, was von der Firma mit dem roten Punkt in Zukunft kommen wird. Natürlich ist es nicht so, dass Leica alle Geheimnisse ausplaudert, aber ein paar zusammenfassende Gedanken aus dem Gespräch seien hier vermerkt:

Generell ist das Zusammenspiel von Hard- und Software etwas, dem Leica grosse Beachtung schenkt. Will heissen: Ein Bild ist noch lange nicht fertig, wenn der Sensor die farbigen Pixel abspeichert. Die Aufbereitung der Bilddaten und das Importieren dieser Daten auf den Rechner haben einen Einfluss auf das Bildfile. Auch ein RAW-Bild ist bereits eine Interpretation des aufgenommenen Fotos. Bei Leica macht man sich sehr viele Gedanken, wie dieser Workflow sich in Zukunft verändern könnte und wie man den bekannten Leica-Look auch im digitalen Zeitalter erzeugen kann. Die Software-Möglichkeiten (Stichwort KI) werden immer ausgefeilter und bieten mehr Kombinationsmöglichkeiten mit der Hardware.

Doch beginnen tut der Prozess immer mit dem Objektiv: Als erstes Glied in der Kette spielt es eine massgebliche Rolle. Leica optimiert permanent die Objektivrechnungen, die verwendeten Materialien, die Autofokus-Technologie, die Exaktheit des Produktionsprozesses usw. Das ist nötig, weil die Objektive mit den immer höheren Sensorauflösungen Schritt halten müssen: Denn was nützt ein 60 Mpx-Sensor, wenn das Objektiv «nur» 40 Mpx auflöst? Zudem werden die Anforderungen an den Autofokus immer höher. Nur mit präziser Scharfeinstellung kann man das hohe Vergrösserungspotenzial der neuen Sensoren wirklich ausschöpfen. Die spiegellosen Systeme geben den Leica-Ingenieuren mehr Spielraum im Objektivdesign: Weil wir mit den elektronischen Suchern nie ein wirklich optisch erzeugtes Bild, sondern immer ein bereits elektronisch aufbereitetes Bild sehen, können gewisse Optikkorrekturen auch rechnerisch vorgenommen werden. Dadurch können beispielsweise Objektive mit gleichen Leistungsmerkmalen kompakter gebaut werden. Die Leica M ist ja ebenfalls ein spiegelloses System, denn eine Messsucherkamera zeigt auch nie direkt ein vom Objektiv erzeugtes Bild.

Zudem wären weitere Funktionalitäten in der Kamera denkbar. Ein Beispiel ist die von Leica im Jahr 2020 eingeführte Perspektivkorrektur, mit der man direkt in der Kamera die stürzenden Linien korrigieren kann. Der Vorteil ist, dass ich gleich vor Ort sehe, wie viel vom Bild ich durch die Perspektivenkorrektur verliere. Ich weiss, dass Leica sich hier zu weiteren sehr spannenden Funktionalitäten intensive Gedanken macht.

Die Entwicklung der vier Linien – Q, M, SL und S – geht permanent weiter

Bei der Q kam vor Kurzem die Version mit dem 43 mm Objektiv auf den Markt, und ich spekuliere, dass irgendwann neue Q-Monochrom-Modelle folgen werden.

Bei der M wurde anfangs 2022 die M11 und ein gutes Jahr später die M11 Monochrom präsentiert. Im Internet gibt es wilde Spekulationen, ob die M12 – wann immer sie auch kommt – allenfalls einen Hybridsucher aufweisen wird. Das würde Sinn machen, weil so die Präzision des manuellen Fokussierens für die High-End-Sensoren erhöht werden könnte. «No comment» hiess es dazu in unserem Meeting.

Bei der SL-Linie hat Leica mit der SL3-S beide SL-Modellstränge auf den neuesten Stand gebracht. Gerade die SL3-S zeigt, dass Leica das oft adressierte Problem der Autofokus-Performance erst nimmt und im Griff hat. Die Weiterentwicklung des Autofokus wird auch in Zukunft hohe Priorität haben – sei das über Firmware-Upgrades oder auch mit leistungsfähigeren Prozessoren und AF-Technologien bei der Lancierung neuer Kameramodelle. Des Weiteren zeigt die SL3-S, dass man in Wetzlar das Thema «Filmen mit der DSLM» hoch einstuft. Hier sind diverse Lösungen im Soft- und Hardwarebereich in der Entwicklung, aber es sei noch etwas früh, darüber zu reden. Ich denke, (auch) in diesem Bereich wird uns Leica in nächster Zeit positiv überraschen. Ob es je eine «reine» Filmkamera im oberen Qualitätssegment von Leica geben wird, ist ein Geheimnis. Sony und Canon bieten entsprechende Kameras an, und auch Fuji hat eine Filmkamera – notabene für das GFX-System – angekündigt. Abwegig wäre es nicht, wenn sich auch Leica in diesem Bereich etablieren würde, aber das ist lediglich meine ganz persönliche Meinung und Spekulation.

Die Leica S3 wird aktuell nicht mehr produziert. Es war produktionstechnisch von Anfang an klar, dass es nur eine limitierte Anzahl S3-Kameras geben wird. Dieses Limit wurde bereits im Lauf des Jahres 2023 erreicht. Es wurde seitens Leica – auch von Dr. Kaufmann selbst – bestätigt, dass man an einem Nachfolgemodell arbeitet. Auch dazu hielten sich die Leica-Verantwortlichen weitestgehend bedeckt. Der Logik folgend behaupte ich jetzt einfach einmal, dass die Kamera den Namen S4 tragen wird, dass es eine spiegellose Kamera mit ungefähr 100 Mpx Auflösung und einem gegenüber der S3 massiv verbesserten Autofokus sein wird. Wünschenswert wäre zudem eine hohe Kompatibilität mit den M- und SL-Objektivlinien. Die Aufgabe für die Entwickler der nächsten S-Kamera ist nicht einfach, denn bezüglich Bildqualität hat die S3 die Latte sehr hochgelegt. Aber auch hier traue ich der Marke mit dem roten Punkt zu, dass sie das beinahe Unmögliche möglich macht – immer und bei allen Kameralinien mit dem Ziel vor Augen, uns auch in Zukunft tolle Instrumente zu liefern, mit denen wir das Licht des Weltgeschehens oder auch ganz des ganz Banalen, nur für uns Wichtigen, perfekt auf den Sensor zeichnen können.

Man liest manchmal, die Bilder, die mit einer Leica gemacht werden, ja sogar die Kameras selbst, hätten eine Seele. Der Blick hinter die Kulissen zeigt, dass auf jeden Fall so viel Herzblut in jede Kamera und jedes Objektiv fliesst, dass es durchaus so sein könnte ...

Familienfoto, das auch die Grössenverhältnisse zeigt (v.l.n.r.): Leica Q3, Leica M11, Leica SL3-S, Leica S3 (Pressefotos Leica)


Dieser Artikel erschien in einer gekürzten Fassung mit einem leicht angepassten Text auch auf fotointern.ch.


Weiterlesen
Text Artikel Peter Schaeublin Text Artikel Peter Schaeublin

Leica SL3-S – erste Eindrücke

Auf die SL2 folgte die SL3. Und logischerweise muss dann auf de SL2-S auch die SL3-S folgen. Die Frage, die sich immer stellt: Ist das neue Modell denn so viel besser wie das alte? Ich wollte es wissen …

 

Im September letzten Jahres schlug sie bei uns auf: Das Vorserienmodell der neuen Leica SL3-S. Und sie liess die Erde ein wenig beben – zumindest symbolisch gesprochen. Doch alles der Reihe nach:

Vor etwas mehr als einem Jahr haben mein Freund Christian Habermeier und ich ein Vorserienmodell der Leica SL3 in Island getestet. Die Kamera hat uns sehr begeistert: Handling, Robustheit, Bildqualität – alles vom Feinsten. Auch der Autofokus zeigte sich im Vergleich zum Vorgängermodell SL2 verbessert, hatte aber bei ganz schnellen Motiven noch Luft nach oben. Christian und ich waren – und sind – von der Kamera so begeistert, dass wir beide unterdessen unsere Fotos im Reportagebereich mit der SL3 realisieren. Der Autofokus wurde mit Firmware-Upgrades nochmals so verbessert, dass er für die Fotografie kaum noch Wünsche offen lässt. Doch fürs Filmen ist die AF-Messlatte höher gesetzt. Und genau hier kommt die SL3-S ins Spiel:

Bis auf die Farbe des Leica-Schriftzugs sieht die Leica SL3-S gleich aus wie die SL3. Das ganze Bedienungskonzept ist ebenfalls identisch. Was die beiden äusserlich praktisch identischen Kameras im Innenleben unterscheidet, erfährst Du in diesem Artikel (Pressebild: Leica).

Die SL3-S hat mich im Feldtest überzeugt (Foto: Marco Huber).

Warum zwei Kameramodelle aus derselben Linie?

Alle Kamerahersteller bringen unterschiedliche Modelle für verschiedene Zwecke auf den Markt. Bei Sony sind es sogar so viele, dass ich offen gesprochen unterdessen den Überblick verloren habe. Leica beschränkt sich auf zwei Modelle, und das macht durchaus Sinn: Wir haben einerseits die SL3, die mit 60 Megapixeln bezüglich Auflösung kaum Wünsche offen lässt und die SL3-S mit 24 Megapixeln, deren Sensor wegen den grösseren Pixeln etwas bessere Resultate im hohen ISO-Bereich liefert und fürs Filmen besser geeignet ist. Doch wenn man mit einer Kamera filmen möchte, benötigt sie auch einen leistungsstarken Autofokus. Und – das sei gleich vorweg genommen: Hier hat Leica die Hausaufgaben gemacht. Mehr dazu später.


Arbeiten mit der SL3-S

Bei Leica zerbricht sich eine ganze Menge von Fachpersonen den Kopf, wie man die Bedienung einer Kamera so einfach und individuell wie möglich hält. Das ist insofern schwierig, als dass die Kameras ja immer mehr Funktionen haben und dadurch komplexer werden. Einfachheit in der Bedienung mit immer mehr Funktionen – das läuft sich diametral entgegen. Doch die Leute aus Wetzlar kriegen das echt gut hin: Sauber strukturierte Menunavigation, individuell programmierbare Screendarstellung, Video- und Fotomenu strikt getrennt und neu sogar farblich gekennzeichnet, sinnvolle Icons usw. Mit drei Rädern und diversen Buttons, die ich nach meinem persönlichen Gusto belegt habe, kann ich die Kamera zu 100% auf meine persönlichen Bedürfnisse abstimmen. Die Haptik der Kamera ist ein Traum, die Räder wackeln kein bisschen, nichts ist «flimsy», das Sucherbild ist klar und scharf. Der Body ist aus einem Magnesiumblock gefräst, und die Kamera ist gegen Nässe und Staub extrem gut abgedichtet.

Im Oktober 2024 gewährte uns Leica einen Blick hinter die Kulissen. Das Bild zeigt die Fertigungsstufen der Aluminium-Rückschale für die Leica SL (erste Generation). Die neueste SL-Generation (SL3 und SL3-S) hat eine Magnesium-Druckguss-Rückschale. Die Vorteile von Magnesium sind ein deutlich geringeres Gewicht und die Möglichkeit, komplexere Formen zu giessen. Auch im Material-Bereich entwickelt Leica ihre Kameras laufend weiter.

Konstanz

Wenn ich jeweils eine Testkamera erhalte, kommt sie natürlich ohne Gebrauchsanweisung. Ich muss mich also selbst zurechtfinden. Bei Leica ist man seit einiger Zeit bestrebt, das User-Interface für alle Kameralinien – Q, M und SL – identisch auszugestalten. Die Weiterentwicklung dieses Interfaces wird mit viel Sorgfalt und Augenmass betrieben, damit man sich beim Wechsel von einer Kameralinie zur anderen oder von einem älteren auf ein neueres Modell sofort zurechtfindet. Von daher brauchte ich keine Anwärmzeit mit der SL3-S. Kamera: Anschalten und los geht’s.


Innovation

Im Inneren der Kamera hat sich aber einiges verändert. Der Sensor hat zwar wie bei der SL2-S immer noch 24 Megapixel, ist aber ein neueres Modell. Und – wirklich das Markanteste und Allerwichtigste: Der Autofokus der SL3-S performt massiv besser. Er ist jetzt auf dem Level, den ich mir immer gewünscht habe für eine solche Kamera. Weil ich nicht viel von Labortests halte, frage ich Andrina Trachsel, ehem. Schweizermeisterin im Ultracycling, ob ich sie im Triathlon-Training mit der SL3-S begleiten darf – eine bessere und attraktivere Testmöglichkeit ist schwer zu finden ;-).

6.30h: Start in den Trainingstag. Andrina beginnt mit dem Warmup, meine Assistentin Chiara und ich machen das Equipment bereit (Foto: Marco Huber)

Andrina im Training

Der Tag ist erst am Erwachen, die Temperaturen sind noch eher im kühlen Bereich, und es nieselt leicht. Doch Andrina ist tough, für sie sind die Wetterbedingungen kein Problem. Für mich ist es gut zu wissen, dass die SL3-S ihr diesbezüglich nicht nachsteht. Die regnerische Stimmung sorgt für ein ganz besonderes Ambiente, und gleich zu Anfang entsteht ein Foto, das mein Lieblingsbild aus der ganzen Serie ist:

Leica SL3-S, 1/80 sec., f 2, 250 ISO, Apo-Summicron SL 2.0/35 mm. Bildbearbeitung in Lightroom
Ich hielt die Kamera knapp über die Wasseroberfläche, was ja möglich ist, weil die Q- und SL-Kameras unterdessen auch einen klappbaren Screen spendiert bekommen haben. Das APO-Summicron SL 2.0/35mm zeichnet genial, und der Unterschied zwischen der Zone innerhalb und ausserhalb des Fokusbereichs ist markant. Es sei am Rande erwähnt: Die 2.0-APO-Festbrennweiten sind trotz ihrer Kompaktheit unglaubliche Leistungskraftwerke. Natürlich sind sie nicht so klein wie die M-Objektive, aber das ist dem Umstand geschuldet, dass sie Autofokus-Objektive sind.

Montage eines SL-Objektivs aus der APO-Festbrennweitenserie (es ist das 75er). Gut zu sehen, wie komplex es im Inneren aussieht. Und obwohl das Objektiv relativ kompakt ist, hat es bezüglich Auflösung noch viel Luft nach oben. Selbst bei 60 Megapixeln ist es noch nicht an seiner Leistungsgrenze.

Der Vorteil des 24-Megapixel-Sensors liegt darin, dass er ein geringeres Bildrauschen aufweist. Selbst bei 10 000 ISO sind die Resultate noch überzeugend. 
Leica SL3-S, 1/500 sec., f 2, 10 000 ISO, Apo-Summicron SL 2.0/35 mm – ich hätte das Bild natürlich mit einer längeren Verschlusszeit realisieren können, aber ich wollte ganz bewusst einen hohen ISO-Wert erzielen. Bildbearbeitung in Lightroom (keine Reduktion des Bildrauschens).

Der AF-Härtetest

Unterdessen ist es etwas heller geworden. Bootsführer Toni ist eingetroffen. Mit viel Gespür lenkt er sein Boot so, dass ich Andrina im Wasser beim Schwimmen super fotografieren und filmen kann. Den Autofokus habe ich auf Gesichtspriorität und AF-C eingestellt, und ich bin verblüfft, wie akkurat der Autofokus arbeitet, selbst wenn nur noch Andrinas Badekappe sichtbar ist. Hier ein Beispiel:

41 Bilder in 2.2 Sekunden: Obwohl die AF-Bedingungen nicht einfach sind, packt der Autofokus der SL3-S sauber. Genau so habe ich mir das gewünscht. Und hier noch eine Sequenz aus dem Fahrradtraining:

Die Filmfunktionen

Schon bei der SL3 hat Leica eine neue Funktion eingeführt, die mich anfangs etwas irritiert hat, aber die ich unterdessen nicht mehr missen möchte: Ich kann verschiedene Filmprofile anlegen, und diese nachher im Menu blitzschnell wechseln: Ich kann beispielsweise ein 6K-Profil mit 30 fps anlegen, ein 4K-Profil mit 60 fps, ein Full-HD-Profil mit 120 fps (kleiner Wermutstropfen: 120 fps mit 4K geht leider nicht) usw. Selbstverständlich kann ich den Profilen auch unterschiedliche Codecs mitgeben. Beim Filmen kann ich blitzschnell zwischen diesen Profilen switchen. Kleiner Wunsch an Leica: Aktuell sind die Profile einfach durchnummeriert, aber toll wäre natürlich, wenn man den Profilen individuelle Namen zuteilen könnte, z.B. “Interview”, “Sport”, “Zeitlupe” o.ä.

BTS: Während Andrina elegant crawlt, hänge ich über dem Bootsrand, um sie zu filmen. Für eine bessere Kontrolle des Bildausschnitts habe ich meinen Atomos Ninja als Kontrollmonitor montiert. Aufgezeichnet habe ich aber alle Clips in der Kamera auf die CF-Express-B-Karte (Foto: Marco Huber)

Der kleine Testfilm

Für meinen kleinen Movie filme ich praktisch alles mit 59.94 fps / L-Log / 4:2:2 / 600 Mbit/s. Das verarbeitet eine normale SD-Karte nicht mehr, man muss dafür eine CF-Express-B-Karte einlegen. Die SL3-S hat wie die SL3 je einen Slot für normale SD-Karten und einen für CF-Express-B-Karten. Das macht meines Erachtens Sinn, denn man kann seine SD-Karten weiterhin verwenden, hat aber fürs anspruchsvolle Filmen die Möglichkeit, mit den CF-Express-B-Karten zu arbeiten.

Eine Sequenz filme ich mit FHD in 120 fps und rechne sie dann mit Topaz Video AI auf 4K hoch. Beim Betrachten des Films wirst Du feststellen, dass diese Sequenz gegenüber den in «echten» 4K gefilmten Sequenzen nicht abfällt. Auch im Filmbereich eröffnet das KI-unterstützte Interpolieren neue Möglichkeiten.


Während des Shootings habe ich bewusst zwischen Film- und Fotosequenzen gewechselt. Diesen Wechsel siehst Du im Film auch. Zudem habe ich ein Beispiel des Bearbeitungspotenzials mit einer Überblendung vom unbearbeiteten RAW- File zum final bearbeiteten Bild eingebaut. Die Musik hat mein genialer Freund Sebastian Bach komponiert.


Dynamikumfang des Sensors

Um den Dynamikumfang des Sensors zu testen, treffe ich mich ein paar Tage nach dem Shooting nochmals mit Andrina. An diesem zweiten Morgen ist kein Regen in Sicht, und ein wunderbarer Sonnenaufgang belohnt uns fürs frühe Aufstehen. Ich möchte Andrina voll im Gegenlicht fotografieren. Die Gretchenfrage in einer solchen Situation ist immer: mit Blitz oder ohne Blitz und danach in der Postproduction aufhellen? Urteile selbst:

Mit Blitz:

Mit Blitz: Leica SL3-S, 1/2000 sec., f 3.5, 125 ISO, Apo-Summicron SL 2.0/35 mm, Profoto A2 mit Grid, High Speed Sync. Bildbearbeitung in Lightroom.

Ohne Blitz

Hier das unbearbeitete RAW-File ohne Blitz. Ich habe so belichtet, dass ich sogar in der Sonne noch Zeichnung habe:

Leica SL3-S, 1/2000 sec., f 3.5, 125 ISO, Apo-Summicron SL 2.0/35 mm, kein Blitz

Und das Resultat nach der Bearbeitung in Lightroom:

In Lightroom habe ich Andrina um 3.5 Blendenstufen aufgehellt, das Gesicht sogar um 4.25 Blendenstufen. Der Sensor gibt das her. Natürlich macht sich in den aufgehellten Bildpartien das Bildrauschen etwas bemerkbar. Man kann das softwaremässig korrigieren, verliert aber ein wenig Details: Hier ein 100% Ausschnitt mit und ohne Denoise:

ohne Denoise

mit Denoise

Farbmanagement

Man kann Farben nachträglich in der Postproduction korrigieren. Doch es macht deutlich mehr Spass, wenn die Kamera akkurate Farben liefert. Besonders bei Hauttönen ist das wichtig. Hier ein Beispiel eines Bildes direkt aus der Kamera, ohne Bearbeitung:

Leica SL3-S, 1/400 sec., f 4, 100 ISO, Apo-Vario-Elmarit SL 2.8-4.0/90-280mm auf 111 mm, Weissabgleich «bewölkt», komplett unbearbeitet, leicht gecroppt


Wie viele Megapixel braucht der Mensch?

Zum Schluss noch ein Wort zum Megapixel-Run, der ungebrochen weitergeht: Aktuell sind wir bei den Vollformat-Topmodellen im Bereich von 50 bis 60 Megapixeln. Doch wie viele Megapixel benötigt man wirklich? Dazu ein wenig Mathematik: Inkjet-Printer arbeiten mit einer Auflösung von 200 bis 300 dpi. Lass Dich nicht von den hohen DPI-Zahlen irritieren, die die Druckerhersteller manchmal angeben. Sie rechnen teilweise die Auflösung für jeden Farbkanal. Doch für unsere Kalkulation nehmen wir die Auflösung, die Photoshop (oder jede andere Bildbearbeitungssoftware) anzeigt. Hier reichen meiner Erfahrung nach 250 dpi für ein optimales Resultat. 250 dpi sind 250 Bildpunkte pro Zoll (inch). Und da ein Zoll 2.54 Zentimetern entspricht, liegt die Auflösung für einen optimalen Print ziemlich genau bei 100 Pixeln pro Zentimeter. Das macht das Rechnen einfach: Teile die Pixel Deines Bildes durch 100, und Du erhältst die Printgrösse, die Du ohne Qualitätseinbusse drucken kannst. Bei einem 24-Megapixel-Sensor sind das 6000 x 4000 px = maximale Druckgrösse für einen optimalen Print 60 x 40 cm. Das reicht in den meisten Fällen. Doch ich wollte grösser printen. Nach einigen Tests mit Interpolier-Programmen bin ich zum Schluss gekommen, dass ich mit Topaz Photo AI die besten Resultate erziele und ich die Pixelanzahl sowohl in der Länge als auch in der Breite verdoppeln kann, ohne dass das Auge einen Qualitätsverlust erkennt. Will heissen: Ein 6000 x 4000 px-Bild kann ich auf 12000 x 8000 px interpolieren. Voraussetzung dafür ist ein qualitativ hochwertiges Ausgangsfile: Dafür fotografiere ich in RAW, bearbeite das Bild sorgfältig und exportiere es dann als 16-bit TIF für Topaz. Dort rechne ich das Bild von 24 auf 96 Mpx hoch. So aufbereitet kann ich bis 120 x 80 cm printen – oder einiges croppen und immer noch ziemlich gross drucken. Natürlich hat man mit einem hoch auflösenden Sensor noch mehr Spielraum, aber man muss dafür mehr Bildrauschen in den hohen ISO-Bereichen und weniger gute Filmergebnisse in Kauf nehmen. Dazu kommt ein merkbar höherer Speicherbedarf auf dem Rechner.

Gross printen geht: Hier mein 120 × 80 cm Print ab dem 24-Mpx-File. Natürlich müsstest Du den Druck im Original sehen, das ist mir schon klar.

Fazit

Leica hat die Hausaufgaben gemacht. Die SL3-S vereinigt die typischen Leica-Eigenschaften mit einem sehr leistungsstarken Autofokus. Für Reportagen, bei denen ich mit wenig Licht fotografieren muss und auch mal filmen möchte, ist die SL3-S für mich die ideale Kamera. Wenn Du die höhere Auflösung benötigst, ist die SL3 die richtige Wahl.

Du musst selbst entscheiden, wo für Dich die Prioritäten liegen und ob Du mehr als 24 Mpx benötigst. Im Zweifelsfall und wenn es Dein Budget zulässt, einfach beide Kameras kaufen . So hast Du, wie wir Schweizer sagen «dä Füfer und s’Weggli» (und ein leeres Bankkonto ;-)).


Und noch ein paar Fotos vom Training Day

Klicke auf die Bilder für eine vergrösserte Ansicht. Wenn Du dann mit der Maus über das Bild fährst, werden die Aufnahmedaten eingeblendet.

Ein grosses Dankeschön an Andrina, Chiara, Marco, Nicola, Toni und Sebastian. Ohne Euch wäre das Projekt nicht möglich gewesen.


 
Weiterlesen