Zwei Lichtriesen im Test, Teil 1

Sigma 300-600mm F4 DG OS | Sports und Sigma 200mm F2 DG OS | Sports

Ein wenig Vorgeschichte

Im Sport würde man sagen: «Sigma hat gerade einen Lauf.» Denn die Firma haut gerade Objektive raus, die manchem Fotografen den Mund wässrig machen. Ich bin da keine Ausnahme. Als ich vom Sigma 300-600mm F4 DG OS | Sports gehört habe, war für mich klar: Dieses Objektiv muss ich testen. Markus Zitt von fotointern.ch hat den Kontakt zu Patrick Geissmann von Ott + Wyss AG, dem Schweizer Vertreter für Sigma, hergestellt. Irgendwann haben Patrick und ich telefoniert, um einen Zeitraum für den Test auszumachen. Und so ganz nebenbei habe ich erwähnt, dass in der Gerüchteküche ja auch noch ein 2.0/200 mm herumgeistert (wir haben etwa zwei Wochen vor der offiziellen Lancierung dieses spannenden Objektivs telefoniert). „Ach ja, tatsächlich, wird da noch ein 2.0/200 mm kommen?“ hat Patrick zuerst ganz unschuldig gefragt. „Tja, die ersten Bilder geistern bereits im Netz herum, und wo so viel Rauch ist, da gibt’s auch ein Feuer“, war meine Antwort. Patrick hat kurz geschmunzelt und dann kam die überraschende Frage: „Wollen Sie dieses Objektiv auch noch testen?“ Worauf mir vor Freude fast der Telefonhörer aus der Hand gefallen ist. Ein paar Tage später ist dann ein ziemlich grosses Paket mit den zwei Preziosen bei mir eingetroffen. Ich habe die Objektive in meinem Fotoalltag einfach mal „mitlaufen“ lassen und auch noch ein paar Shootings ausgedacht, um den zwei Sigma-Linsen auf den Zahn zu fühlen.


Für die Schnellleser

Für alle, die nicht den ganzen Testbericht lesen wollen, hier die Kurzzusammenfassung mit einem Wortspiel auf Englisch:

«The two lenses are not only big, but they are also great.»

Und alle, die’s noch ein wenig genauer wissen wollen, können gerne noch weiterlesen:


Das 2.0/200 mm

Ich hatte immer beide Objektive in der Fototasche, wobei man präzisieren muss: Das 2.0/200 mm reiste in der Fototasche mit, das 4.0/300-600mm ist so gross, dass es gleich in einem Rucksack angeliefert wird. Was sehr praktisch ist, denn mit knapp 4 kg Lebendgewicht und einer Länge von ziemlich genau 47 cm (ohne aufgesetzte Gegenlichtblende) ist das Ding so gross, dass es durchaus sinnvoll ist, es separat zu verpacken. Ich habe die beiden Objektive mit dem L-System-Anschluss getestet. Als Kameras kamen die Leica SL3 und die SL3-S zum Einsatz. Wer mich kennt, weiss, dass ich nicht viel von Tests unter Laborbedingungen und Pixelpeeping halte. Bilder werden ja in der Regel draussen oder im Studio realisiert und nicht in einem Labor. Deshalb müssen sich sowohl Kameras wie auch Objektive im Fotografenalltag und nicht unter irgendwelchen „klinischen“ Testbedingungen bewähren.

Bullig, aber nicht unhandlich: das Sigma 200mm F2 DG OS | Sports (Pressebild Sigma)

Ein erstes Herantasten: Portraitshooting im Garten

Fast gleichzeitig mit dem grossen Sigma-Paket treffen Angi und Hannah ein – zwei Freundinnen von uns auf der Durchreise vom Norden in den Süden. Und weil es mir unter den Nägeln brennt, zumindest mal das 2.0/200mm auszuprobieren, frage ich sie, ob sie sich für ein spontanes Shooting bei uns im Garten zur Verfügung stellen. „Selbstverständlich“, war die Antwort, und so habe ich das bullig wirkende 200er auf die SL3 montiert. Die Combo liegt überraschend gut in der Hand. Obwohl das Objektiv 1.8 kg auf die Waage bringt, fühlen sich Kamera und Objektiv gut ausbalanciert an. Und wenn man ein Objektiv mit einer maximalen Blendenöffnung von 2.0 in den Fingern hat, will man natürlich mit voll offener Blende fotografieren. Zumindest ich. Sonst kann ich ja auch ein Objektiv mit geringerer Lichtstärke kaufen. Und was der Sprung von 4.0 auf 2.0 an kleinerem Schärferaum bringt, zeigen diese zwei Aufnahmenpaare:

Bild links: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/320 sec, f 2.0, 100 ISO
Bild rechts: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/160 sec, f 4.0, 100 ISO

Bild links: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/640 sec, f 2.0, 125 ISO
Bild rechts: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/320 sec, f 4.0, 125 ISO

Alle Aufnahmen sind in Lightroom in Helligkeit und Kontrast optimiert worden, aber nicht nachgeschärft, damit Du beurteilen kannst, was das Objektiv zusammen mit der Leica liefert. Schon beim Hereinzoomen der Bilder auf dem Kamerascreen bleibt mir die Spucke weg: Das 200er ist selbst bei offener Blende sowas von scharf und liefert eine Detailzeichnung, die meine Erwartungen übertrifft. Der Schärferaum wird bei voll offener Blende naturgemäss sehr klein, und präzises Fokussieren ist unumgänglich.

Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/640 sec, f 2.0, 125 ISO. Der 1:1 Ausschnitt unten zeigt die feine Detailzeichnung schon beivoll offener Blende. Aber: Die Augenbraue ist teilweise bereits nicht mehr scharf. Das AF-System muss also absolut präzise fokussieren.

Sobald man mehr als eine Person im Bild hat, wird es schwierig mit dem Schärferaum bei voll offener Blende. Ich versuche, Angi und Hannah so zu fotografieren, dass sie beide innerhalb des Schärferaums sind. Doch es braucht nicht viel, und eines der Gesichter fängt an, in die Unschärfe abzugleiten. Ich dirigiere die beiden Ladies so, dass die Gesichter möglichst parallel zur Kamera ausgerichtet sind. Doch selbst dann ist Angies äusseres Auge nicht mehr ganz scharf. Das mag in einem kleinen Abbildungsmassstab nicht stören, aber bei einem grossen Print würde es irritierend wirken. Abblenden auf 5.6 löst das Problem. Wenn ich die Bilder mit 2.0 und 5.6 auf dem Screen vergleiche, habe ich nicht den Eindruck, dass sich die Schärfe durch das Abblenden noch erhöht. Mag sein, dass sich die Randschärfe rein theoretisch noch etwas steigert durch Abblenden, aber in der Praxis kann man das Potenzial des Objektivs bereits mit voll offener Blende ausschöpfen.

Bild links: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/100 sec, f 2.0, 200 ISO. Der Schärferaum ist so klein, dass Angi bereits in der Unschärfe ist.
Bild Mitte: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/100 sec, f 2.0, 200 ISO. Ich habe Angi gebeten, etwas weiter nach hinten zu gehen. Trotzdem ist das äusserste Auge nicht ganz scharf.
Bild rechts: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/100 sec, f 5.6, 1600 ISO. Abblenden, damit beide Personen in der Schärfe sind. Die Blätter im Vordergrund werdendurch das Abblenden konkreter.


Luis Aellig in concert

Einer der Haupteinsatzgebiete des 2.0/200mm ist meines Erachtens die Bühnen- und Konzertfotografie. Dort kann das Obektiv durch die Kombination von langer Brennweite und hoher Lichtstärke einen echten Unterschied machen. Gut, dass während meiner Testzeit ein kleines, feines Konzert von Luis Aellig mit Band in nur 200 Metern Gehdistanz von unserem Zuhause stattfindet. Der kleine, intime Rahmen ist toll, das Licht ist spärlich, und genau das ist dann eben ein Test unter Realbedingungen, in denen sich das Objektiv bewähren muss. Für die Konzertaufnahmen habe ich mich für die SL3-S entschieden, weil sie in den hohen ISO-Bereichen Top-Resulate liefert.

Bild links und Bild Mitte: Leica SL3-S mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/200 sec, f 2.0, 3200 ISO
Bild rechts: Leica SL3-S mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/250 sec, f 2.0, 5000 ISO. Bewusst habe ich die Schärfe auf die Brille gelegt, weil sie das optisch prägende Element ist.

Und wenn man nah genug an die Musiker herankommt, kann man mit dem 200er auch noch wunderbare Detailaufnahmen realisieren.

Beide Bilder: Leica SL3-S mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/250 sec, f 2.0, 2500 ISO. Der Bildstabilisator funktioniert sehr gut, doch wegen der Bewegung der Musiker muss ich die Verschlusszeit doch eher kürzer halten.


Hochzeitsfotografie mit dem 2.0/200

Während des Testfensters habe ich zusammen mit meiner Frau Ursula die Ehre, Eva und Raphaels Hochzeitsfest auf dem Hof der Brauteltern fotografisch festzuhalten. Ein wunderbares Fest mit Trauakt im Freien, vielen Kühen, einem kleinen Konzert, einem glücklichen Brautpaar und ebenso glücklichen Gästen. Während ich bei Hochzeitsreportagen lieber mit kürzeren Brennweiten fotografiere, montiert Ursula jeweils am liebsten das Leica APO-Vario-Elmarit-SL 1:2,8-4/90-280. Deshalb schnappt sie sich das 2.0/200er und – natürlich rein fototechnisch gesprochen – verliebt sich in die Linse. In ihrer Begeisterung teilt sie die Aufnahmen mit den Gästen, und plötzlich wollen sich alle mit dem „Wunderobjektiv“ fotografieren lassen.

Ursula im Einsatz mit dem 2.0/200mm. Der Spass am Objektiv ist unübersehbar. Und die Gäste sind begeistert von den Resultaten.

Ursulas Enthusiasmus steckt mich an, und ich realisiere auch einige Aufnahmen mit dem 200er. Manchmal fühle ich mich durch die lange Brennweite zu weit weg von den Menschen, aber es gibt natürlich immer wieder Situationen, in denen eine grössere Distanz durchaus von Vorteil ist. Hier einige Aufnahmen vom Hochzeitsfest mit speziellem Dank an Eva, Raphi und alle Gäste, dass wir die Bilder teilen dürfen:

Bild 1: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/640 sec, f 2.0, 50 ISO
Bild 2 und 3: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/3200 sec, f 2.0, 200 ISO
Bild 4: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/3200 sec, f 2.0, 125 ISO
Bild 5: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/1600 sec, f 2.0, 200 ISO, sw-Umwandlung in Lightroom
Bild 6: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/500 sec, f 4.5, 160 ISO
Bild 7: Leica SL3 mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/250 sec, f 2.0, 1250 ISO
Bild 8: Leica SL3-S mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/320 sec, f 2.0, 250 ISO
Bild 9: Leica SL3-S mit Sigma 200mm F2 DG OS | Sports, 1/320 sec, f 2.0, 1600 ISO


Gerade wenn das Licht knapp wird und man wegen der langen Brennweite und den sich bewegenden Personen eine kürzere Verschlusszeit benötigt, kann man die ISO dank der hoch geöffneten Optik doch noch im vertretbaren Rahmen halten. Klar kann man heute Bilder in der Postproduction entrauschen, aber dabei verliert man immer Detailzeichnung.


Brauchst Du ein 200mm mit so grosser Blendenöffnung?

Man hat ja das Gefühl, dass der Schärferaum bei einem so langbrennweitigen Objektiv mit so grosser Öffnung extrem klein ist. Und das stimmt auch. Doch wenn wir dasselbe Motiv mit einem 200mm- und einem 90mm-Objektiv mit voll offener Blende fotografieren und den Aufnahmeabstand so verändern, dass wir mit beiden Objektiven denselben Bildausschnitt haben, stellen wir fest, dass der Schärferaum derselbe ist. Lass mich das kurz erklären: Die Distanz zwischen Motiv und Kamera ist sehr entscheidend für den Schärferaum. Wenn ich mit demselben Objektiv mit derselben Blende ein Objekt ganz nah fotografiere, ist der Schärferaum wesentlich kleiner (Makrofotografen können ein Liedchen davon singen) als bei einem Objekt in weiterer Entfernung wie zum Beispiel einer Landschaft. Wenn ich nun eine Person mit einem 90mm (oder 135mm) Objektiv portraitiere und nachher das 200 mm Objektiv auf der Kamera montiere, muss ich meine Distanz zum Motiv vergrössern, um wieder denselben Ausschnitt zu erzielen. Durch die grössere Distanz gleicht sich der durch die längere Brennweiter verkleinerte Schärferaum wieder aus. Tönt ziemlich kompliziert. Einfach formuliert kann man sagen: Bei gleichem Ausschnitt und gleicher Blende erzielt jedes Objektiv denselben Schärferaum. Nur der Abstand zum Motiv – und damit natürlich auch die Perspektive – verändert sich. Wenn Du Deinen Aufnahmepunkt frei wählen kannst, bringt Dir die hohe Anfangsöffnung des 2.0/200 mm keinen wirklichen Vorteil bezüglich Schärferaum. Wenn Du aber die Distanz nicht frei wählen kannst oder Du mit etwas mehr Abstand unbemerkt fotografieren möchtest und Du deshalb eine lange Brennweite benötigst, kannst Du mit der maximalen Blendenöffnung von 2.0 im Vergleich zu einem 4.0/200 mm oder 5.6/200 mm einen kleineren Schärferaum erzielen und so das Motiv besser aus dem Umfeld herausschälen.

Meine Assistentin Chiara, links mit dem 200 mm mit Blende 2.0 und rechts mit einem 90 mm mit Blende 2.0 fotografiert. Die Perspektive verändert sich logischerweise durch den unterschiedlichen Aufnahmeabstand, die Wirkung von Schärfe und Unschärfe ist aber so gut wie identisch. Und man sieht: das 2.0/200 mm eignet sich hervorragend als Portraitobjektiv.


Fazit zum 2.0/200mm

Wenn man die technischen Daten des Objektivs liest, wird einem beinahe schwindlig. Nicht nur wegen der maximalen Blendenöffnung, sondern auch, weil Sigma viele nützliche Technologien im Objektiv verbaut hat. Diese lesen sich etwas kryptisch und tönen dann in etwa so: HLA (High-response Linear Actuator), OS (Optische Stabilisator) mit OS2- Algorithmus, Innenfokussierung, NPC (Nano Porous Coating), wasser- und ölabweisende Beschichtung (Frontlinse), OS-Schalter, Fokussierbereichsbegrenzer und und und … Wir können davon ausgehen, dass ein Objektiv von Sigma in dieser Preisklasse alles mit an Bord hat, was technisch möglich ist. Und dann zählt nur der Praxiseinsatz.

Nach den zehn Testtagen muss ich feststellen: Meine Frau Ursula als auch ich haben uns ein wenig in dieses Objektiv verguckt. Die optische Leistung ist hervorragend, der Autofokus ist schnell und präzise. Das Bokeh ist sehr schön, und das Handling ist besser als erwartet. Die Kombination von Brennweite und Lichtstärke ist konkurrenzlos:  Nebst dem 2.0/200 von Sigma finde ich nur noch eine zweite 200mm Festbrennweite, allerdings ein voll manuelles Objektiv ohne Autofokus mit 4.0 als maximale Blendenöffnung von einem Hersteller namens Zhongyi Optics., auch für L- und E-Mount erhältlich. Will heissen: Das Objektiv ist einzigartig. Kleiner Wermutstropfen für die Sony-Fotografen: Sony erlaubt eine maximale Bildrate von 15 Bildern pro Sekunde. Ich kann nur vermuten, dass diese Einschränkung gemacht wird, um die Attraktivität dieses exzellenten Objektivs einzuschränken. Doch Hand aufs Herz: Wie oft fotografierst Du mit einer schnelleren Bildrate als 15 fps? Wahrscheinlich ziemlich selten. Zudem haben L-Mount Fotografinnen und Fotografen den Vorteil, dass es einen Telekonverter für das Sigma 200mm F2 DG OS | Sports gibt.


Teil 2 folgt

Im zweiten Teil des Berichts werde ich erzählen, wie sich das 4.0/300-600mm in der Praxis schlägt und teilweise auch den Brennweitenunterschied zum 200er zeigen. Der Schwerpunkt im zweiten Teil wird auf dem 4.0/300–600mm liegen, aber es werden noch weitere Praxisbeispiele mit dem 2.0/200mm folgen.

Kleiner Spoiler: Im zweiten Teil des Testberichts werden wir unter anderem am frühen Morgen mit Kajakern unterwegs sein. Hier eine erste Aufnahme mit der ganz langen Tüte: Leica SL3-S mit Sigma 300-600mm F4 DG OS | Sports auf 331 mm, 1/640 sec, f 4.0, 320 ISO, fotografiert aus einem Beiboot und damit logischerweise ohne Stativ.

Alle Fotos © by Peter und Ursula Schäublin und Chiara Denicolo

 
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